Es braucht ein wenig, um sich zurecht zu finden in Christian Petzolds „Transit“. Vor allem das „Wann?“ verunsichert anfangs erheblich. Denn der Regisseur transponiert seine Handlung nach dem gleichnamigen Roman von Anna Seghers von 1944 in das Frankreich der 2010er Jahre.
Und damit gelingt Petzold ein echter Glücksgriff – denn diese verblüffend einfache Entscheidung verleiht dem Film Überzeitlichkeit, Aktualität und vor allem eine Wucht, die es dem Zuseher schier unmöglich macht, eine passive Rolle im Zuschauerraum einzunehmen. Nein: Christian Petzold verwehrt uns Betroffenheitskino über vergangene und vermeintlich verarbeitete Zeiten. „Transit“ konfrontiert uns mit Themen brennender Aktualität – Menschlichkeit, Umgang mit Flüchtlingen, Heimatlosigkeit, Perspektivlosigkeit, Nationalismus, Liebe in Zeiten der Hoffnungslosigkeit. Und der Film fordert eine Stellungnahme, fordert Reflexion:
„Was würdest Du tun?“.
Wir begleiten Georg, einen deutschen Flüchtling ohne Aufenthaltsgenehmigung in Paris, auf der Flucht vor den nahenden Faschisten, dem Krieg in Europa, in ständiger Angst vor Razzien und Schikanen der französischen Polizei. Während eines Gelegenheitsjobs gelangt er in den Besitz der Habseligkeiten eines angesehenen Schriftstellers, darunter dessen letztes Manuskript sowie wertvolle Papiere, die eine Auswanderung nach Mexiko von Marseille aus ermöglichen sollen. Nur knapp entkommt Georg der Verhaftung durch die deutsche Armee, die Paris bereits eingenommen hat. Er flieht nach Marseille. Dort schlüpft er aufgrund einer Verwechslung in die Rolle des Autoren und bereitet sich auf die Überfahrt in die vermeintlich neue Heimat vor. Doch Freundschaft, Liebe, Verantwortungsgefühl und Menschlichkeit stehen in unmenschlichen Zeiten seiner Freiheit entgegen und führen unentrinnbar ins Verderben.
Entlang eines klaren und geradlinigen Drehbuchs, in Szene gesetzt mit wunderbar ruhigen Bildern ohne Schnörkel und vordergründige Effekte agieren bei Christian Petzold erstklassige Schauspieler, die das Grauen fassbar werden lassen. Allen voran Franz Rogowski. Dieser spielt so reduziert, in sich gekehrt, ausgebrannt und doch voller Seele, Liebe und Leben – selbst komplett alleine hätte Rogowski den gesamten Film tragen können (Höhepunkt ist zweifelsohne die Erinnerung an das Wiegenlied der Mutter). Zu Unrecht wird Rogowski als deutscher Joaquin Phoenix gehandelt – eher müsste sich Phoenix geehrt fühlen mit Rogowski verglichen zu werden.
Warum kann deutscher Film nicht immer so sein – nicht eine Sekunde lang fühlt man sich veranlasst den Vergleich mit amerikanischen Produktionen zu bemühen. Hier fühlt, sieht, erlebt man Klasse, Aktualität und Relevanz. Ein Film der herausfordert – sicher kein Genuss-Film – eher ein Muss-Film, der zur Diskussion über die Entwicklungen unserer Gesellschaft einlädt.
Genussfaktor (diesmal Muss-Faktor):
Deutscher Titel: Transit
Originaltitel: Transit
Produktionsland: Deutschland/Frankreich
Länge: 101 min
Alterfreigabe: FSK 12
Regie: Christian Petzold
Darsteller: Franz Rogowski, Paula Beer, Godehard Giese u.a.
Gesehen wo: Netflix
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